Der jährliche Ärger mit den Jahresmitarbeitergesprächen

Es ist wieder Saison: immer um die Jahreswende heisst es von Chef/innenseite: "Ach komm, jetzt müssen wir noch die Alibiübung fürs HR veranstalten. Ich weiss zwar auch nicht, was das bringen soll, schliesslich arbeiten wir ja täglich zusammen, aber es ist halt obligatorisch. also kreuzeln wir das doofe Formular halt rasch durch...."
ROTE KARTE! Wer als Vorgesetzte/r so mit einem der wichtigsten Führungsinstrumente umgeht, handelt geschäftsschädigend, kommt seinen Pflichten gegenüber dem Mitarbeiter nicht nach und schiesst sich gleich noch ins eigene Knie. Ausreden wie: "Vom Mitarbeiter kommt ja auch nicht viel, und vom HR hörst Du nach der Abgabe sowieso nie wieder was!" sind keine Entschuldigung, sondern höchstens ein Indiz, dass da offenbar schon länger geschlampt wird.

Das Jahresmitarbeitergespräch (JMAG) hat drei Hauptnutzen:
A) Erheben fundamentaler Daten für Personalplanung und Personalpolitik - Daten (sofern sie vollständig und korrekt sind) sind das Gold des 21. Jahrhunderts. Sie sind Firmeneigentum, nicht Privatbesitz! Ausserdem bedarf die zunehmende Verrechtlichung der Arbeitsbeziehungen belastbarer Fakten.

B) Natürlich ersetzt das JMAG nicht die vielen einzelnen, informellen oder themenbezogenen Gespräche, die Sie als Vorgesetzte/r hoffentlich permanent führen. Doch nur im JMAG (ev. noch in einem Halb-JMAG) findet eine GESAMTSICHT von beiden Seiten statt. Mitarbeitende haben ein RECHT darauf, ausgewogen und unter Einbezug aller Aspekte eingeschätzt zu werden. Und Sie als Chef wären blöd, sich diesen garantierten Rahmen entgehen zu lassen, in dem der MA seine Sichtweisen im vollständigen Zusammenhang darlegen kann.

C) Ohne JMAG ist keine verbindliche Zielvereinbarung möglich. Und um die - nicht ums Notenverteilen - geht es im wichtigsten Gespräch des Jahres!

Hier also 10 der gröbsten Irrtümer über das Jahresmitarbeitergespräch:

1) URTEIL STATT EINSCHÄTZUNG: Schon im Wort "Mitarbeiterbeurteilung" steckt das Unheil: Wer fällt Urteile.....? Eben. Sprechen Sie lieber von (gemeinsamer) Einschätzung. Wer geschätzt wird, bringt sich eher ein.

2) RÜCKBLICK STATT ZIELVEREINBARUNG: Anstelle einer Abmachung, wohin man (gemeinsam) will, wohin sich der Mitarbeiter entwickeln könnte, verlieren sich Vorgesetzte und Mitarbeitende oft in ellenlangen und kleinlichen Aufrechnungen von Geschehenem - das ohnehin nicht mehr zu ändern ist. Faustregel: Rückblick 20% der Zeit - Ausblick 80%!

3) KONSENS STATT VERBINDLICHKEIT: Es ist völlig normal, dass Mitarbeiter, Vorgesetzte und Unternehmen unterschiedliche Ziele haben. Vom MA zu verlangen, dass er die Firmenziele über seine eigenen stellt, würde bedingen, dass er massgeblich am Unternehmen beteiligt würde. Sozial erwünschte Aussagen verstellen nur den Blick auf die Wirklichkeit: Es geht nicht um die Übereinstimmung von Interessen, sondern darum, Unterschiedlichkeit zu verbindlicher Übereinkunft zu bündeln: halt echte Führungskunst!

4) UNSAUBERE ZIELFORMULIERUNG Schludriges Denken, Beliebigkeit in der Formulierung, Ungenauigkeit bei den Fakten führen nicht zu Zielen, die von den Mitarbeitenden wirklich erreicht werden wollen. Nur SMARTe ( https://de.wikipedia.org/wiki/SMART_(Projektmanagement) ) Ziele sind ernstzunehmende Ziele.

5) VORBEREITUNG BRAUCHT ES NUR BEI DEN NEUEN: "Erwachsen werden heisst, wenigstens nicht mehr auf sich selber hereinzufallen!" (Dani Solimine) Das gilt speziell für Vorgesetzte. Wer nicht bereit ist, mindestens einmal im Jahr sein subjektives Bild vom Mitarbeiter möglichst unvoreingenommen Punkt für Punkt zu überprüfen, taugt nicht als Chef. Eine zielführende VORBEREITUNG braucht nun mal Zeit. Wer die Unterlagen erst 5 Minuten vor dem JMAG zu Rate zieht, hat dessen Sinn gründlich missverstanden.

6) EIN GESPRÄCH IM JAHR GENÜGT: Wer sich als Vorgesetzter an 364 Tagen aufführt wie Donald Trump, ist am JMAG unglaubwürdig als Verfechter von Respekt, Offenheit, Wahrhaftigkeit und Aktivem Zuhören. Das notwendige Vertrauen für ein gehaltvolles JMAG müssen Sie schon vorher aufbauen.

7) ROLLE, FUNKTION und PERSON SIND BEIM JMAG DASSELBE: Eben nicht. Beim JMAG sitzen sechs Teilnehmer/innen am Tisch, nicht nur zwei. Jede/r ist als PERSON, in seiner FUNKTION und in der durch Zuschreibung und Verhalten bestimmten ROLLE anwesend. Weder Über- noch Unteridentifikationen sind für ein glaubwürdiges Resultat hilfreich. Bewusstsein und Balance machen die Glaubwürdigkeit! Auch hier: als Vorgesetzte/r haben sie 364 Tage Zeit, allfällige Ungleichgewichte zu klären. Sonst wird's unangenehm.

8) Der Chef muss nicht RECHT HABEN, nicht GEWINNEN und auch nicht GEFALLEN. Sondern die kritischen Themen fair und vollständig thematisieren, behandeln und erledigen. Zusammen mit dem Mitarbeiter.

9) RÜCKMELDUNG ist nicht gleich RÜCKMELDUNG: Ein FEEDBACK ist kein KRITIKGESPRÄCH ist keine EINSCHÄTZUNG. Gefühlte 95% aller Vorgesetzten machen daraus ein Birchermüesli. Mit Rollmops. Und Roquefort. Ungeniessbar und nutzlos!

10) Pensioniert Eure inneren SCHULMEISTER, BEAMTEN und FELDWEIBEL! Es geht weder darum, den Mitarbeiter zu belehren oder gar zu disziplinieren. Formulare sind ein Hilfsmittel zum Erzielen einer Vereinbarung, keine Heilige Schrift, der wir huldigen müssen. Wo etwas nicht zutrifft, einfach streichen! Auch hier gilt die Cheftugend: Priorisieren und eindeutig kommunizieren!