Über Erfolge spricht man gerne und immer wieder, Erfolge sind sexy und machen attraktiv. Was aber ist mit Misserfolgen? Eben ist ein Vorhaben gescheitert, jemand hat einen dicken Strich durch unsere Planung gemacht, grosse Enttäuschung, die Decke fällt einem auf den Kopf ....

Jeder und jede erlebt solche Situationen, als junger Mensch, im mittleren Alter – und selbst noch als Rentner gehen die eigenen Rechnungen oft nicht auf und wir enden in einer Sackgasse. Vielleicht gerade jetzt vor den Sommerferien, die wir glaubten unbesorgt geniessen zu können.
Enttäuschungen sind schmerzlich, sie werden von den einen versteckt und heimlich verarbeitet, von anderen öffentlich ausgeschlachtet – aber nutzen wir sie auch? Wie geht das mit dem englischen Allerweltswort «lessons learned»? Hier eine Anleitung in drei Schritten:

Misserfolge sind normal

Es gibt wohl niemand, der sich nicht über Erfolge freut. Erfolge können simple Dinge sein (Endlich den Führerschein gemacht!), oder Fleissarbeiten (Promotion zum Doktor in sowieso) oder berufliche Karriereschritte (zum CEO eines multinationalen Konzerns befördert) – sie sind immer lang ersehnte und mit viel Aufwand angestrebte Ziele, deren Erreichung einem Menschen viel bedeutet.

Umso frustrierender und emotional aufwühlender ist es, diese Ziele zu verfehlen! Ein erster Schritt zur Verarbeitung von Misserfolgen ist die Erkenntnis, dass Scheitern normal ist, uns im Leben immer wieder passiert und weiter passieren wird. Es wäre völlig irrwitzig, davon auszugehen, dass wir nur von Erfolg zu Erfolg hüpfen und ohne Schwierigkeiten eine glanzvolle Karriere absolvieren können. Epiktet, griechischer Philosoph (50 – 138 n.Chr.) und wichtiger Begründer der Philosophie der Stoa, hat es in den lapidaren Satz gegossen: «Einige Dinge stehen in unserer Macht, andere jedoch nicht!»

Abstand nehmen

Enttäuschungen verarbeiten können wir am besten durch Abstand nehmen, und analysieren.
Abstand nehmen heisst, die ganze Sache in eine Schublade packen und zwei Wochen wegschliessen. (Ausgenommen natürlich sind allfällige Sofortmassnahmen, die zu treffen sind, um schlimme Folgen oder Nebenwirkungen zu vermeiden.) Wer jetzt dabei ist, in Urlaub wegzufahren, ist das die perfekte Gelegenheit, Abstand zu nehmen.

Nach dieser Pause kommt man aber nicht um eine fundierte Analyse herum. Und: Wer erfolgreich Abstand gewinnt von der Enttäuschung, ist gleichzeitig in Gefahr, die ganze Sache vergessen zu wollen! Man hat zwei Wochen nicht mehr an die leidige Geschichte gedacht, sich daran gewöhnt – und steht nun möglicherweise am Punkt, wo der Gedanke «Was soll's? Es bringt eh nichts mehr!» eine verführerische Kraft entfaltet. Diesen Punkt gilt es zu überwinden – Analyse muss sein: Was ist eigentlich passiert? Was waren die Ursachen? Habe ich frühe Anzeichen, dass es schieflaufen könnte, übersehen?

Analyse ist nicht eine Suche der «Schuldigen»: Die Aussage «Meine lieben Kollegen wollten mir ein's auswischen!» ist zu simpel und hilft nicht weiter. Eine Suche nach den «bad guys» sind Pampers, welche verhindern, in den Spiegel zu schauen und die Wahrheit zu finden.

Misserfolg als Kick-off zu nachhaltigem Lernen

Ein häufig empfohlenes Rezept für die Verarbeitung von Misserfolgen besagt: Steh wieder auf, mach einfach weiter!

Das ist nicht falsch, aber zu simpel und gleichzeitig gefährlich. Warum? Ohne Lernen machen wir die gleichen Fehler erneut. Jeder Mensch hat seine eigenen Verhaltensweisen, Reaktionsmuster und Routinen – wenn wir diese nicht durchleuchten, ist die Wahrscheinlichkeit, bei nächster Gelegenheit in die gleiche Falle zu tappen, sehr gross.

Die Forschung zeigt, dass emotionale und irritierende Erlebnisse sich nachhaltig im Gedächtnis einprägen. Menschen lernen nur zusammen mit ihren emotionalen Mustern, welche auch Teil der persönlichen Biografie sind. Mit zunehmendem Alter sind in diesen Mustern immer mehr Lebenserfahrungen verfestigt – und die Gefahr ist gross, sich in den immer gleichen Mustern zu drehen.

Eine Enttäuschung ist ein nachhaltiges emotionales Erlebnis und deshalb eine Steilvorlage dafür, Bisheriges zu hinterfragen, Verhaltensweisen zu überdenken und Neues zu lernen. Dies kann sich auf neue fachliche Kompetenzen beziehen, aber vor allem auch auf Selbstkompetenzen: Wie gehe ich mit anderen Menschen um? Wie kommuniziere ich – schriftlich und mündlich? Wie gehe ich mit mir selber um? Wie und wo hole ich mir neue Ideen? Habe ich eine vernünftige Zeitplanung? Etc.

Gut verarbeitete Enttäuschungen sind wichtige Treiber für persönliches Lernen, im Sinne eines Entwicklungsprozesses und Wachstum der eigenen Persönlichkeit. Bekanntlich ist nichts ist so gefährlich wie Erfolg! Sinngemäss könnte man diesen Satz verwandeln in: «Nichts bietet so viele Chancen wie Misserfolge!»

Werner Inderbitzin
ehemals Rektor der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften