Wir alle kennen das: Was wir uns wünschten war greifbar nahe, aber trotz aller Anstrengungen haben wir es nicht erreicht!

Oder: Ein blöder Fehler - und schon bist du weg vom Fenster!

Und überhaupt: Jüngere Kollegen und Kolleginnen überholen mich links und rechts - Erfahrungen, die einmal so viel zählten, gelten plötzlich nichts mehr!

Jeder und jedem passiert das: Wir erkennen plötzlich unsere Schwächen und Grenzen, genauer gesagt: unsere Durchschnittlichkeit. Und müssen damit umgehen. Aber wie? Drei Gedanken dazu:

Erstens
Den Kopf an der harten Realität anstossen ist eine Chance für ein Überdenken meiner Pläne. Ja, ich habe verloren, aber vielleicht bin ich im falschen Rennen!? Ist das gesteckte Ziel für mich passend, und überhaupt erreichbar? Will ich meinen Traum wirklich realisieren, mit allen Konsequenzen? Wenn die Antwort ein klares und deutliches «Ja» ist, dann gibt es nur eine Konsequenz: Aufstehen und weiterlaufen! Auch wenn der Weg bis jetzt noch nicht zum Ziel führte, habe ich trotzdem bereits viel gelernt. Oft erweist sich im Leben der Weg als wichtiger als das Ziel! Nicht umsonst wird diese Weisheit durch viele Sprichwörter in allen Kulturen - und auch durch moderne Forschung gestützt. Zum Beispiel in einem interessanten Artikel von Huang Szu-Chi und Jennifer Aaker von der Stanford Business School. *)

Zweitens
Solange der Misserfolg kein Weltuntergang ist und eine Schwäche nicht zu einem Kapitalverbrechen geführt hat, lässt sich das korrigieren. Du bist als Mensch mehr als deine Fehler und Schwächen! Falsch ist jedoch, Misserfolge und Fehler zu verstecken und zu verheimlichen. Findet man nicht eher Menschen sympathisch, welche Schwächen haben und auch dazu stehen? Auf jeden Fall ist ein Misserfolg kein Grund, psychisch zusammenzubrechen und sich vor allen Menschen zu verstecken.

Drittens
Schwächen und Fehler aufmerksam wahrnehmen ist der Einstieg in die wichtigste Erkenntnis, nämlich aus misslichen Ereignissen zu lernen und Veränderungen vorzunehmen! Lernen besteht nicht primär in der Aufnahme von Wissen, sondern in Verhaltensänderungen. Vom ersten Tag unseres Lebens an lernen wir unser Verhalten anzupassen und zu optimieren, und dieser Lernprozess geht - wenn wir wollen! - bis ins hohe Alter weiter. Unsere Gewohnheiten, unser «Mindset», ist eine Erbschaft aus der Geschichte - jener unserer Vorfahren aber vor allem unserer eigenen. Und es ist erwiesen, dass dieser Mindset ändern lässt. Die Lernfähigkeit eines Menschen bleibt lebenslang erhalten - vorausgesetzt diese Fähigkeit wird benutzt und trainiert.

Wann hast du zum letzten Mal aus Erfahrungen etwas gelernt und Gewohnheiten angepasst, wenigsten ein kleines bisschen?

Werner Inderbitzin
Ehemals Rektor der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften

 

*) Huang Szu-Chi, Aaker, Jennifer: It's the Journey not the Destination, 2019, Journal of Personality and Social Psychology