Umgang mit Verlust und neue Sinnfindung
Verlust ist ein unvermeidlicher Teil der menschlichen Erfahrung und betrifft jeden von uns auf vielfältige Weise und viele Male im Laufe unseres Lebens. Es vergeht fast kein Jahr, ohne dass wir Zeuge von Verlust in unserem eigenen Leben oder dem einer anderen Person werden. Obwohl nichts so tiefgreifend und eindeutig ist wie der Verlust eines geliebten Menschen, was oft eine Neuausrichtung im Leben mit sich zieht, kann uns auch der Verlust der existentiellen Grundlage, des Zuhauses, der Gesundheit, des Arbeitsplatzes, des Vertrauens oder des Lebenssinns aus dem Gleichgewicht bringen.
Der Trauerprozess
Nach dem Verlust eines geliebten Menschen, unabhängig davon, ob er sich von langer Hand anbahnte oder plötzlich erfolgte, ist die unmittelbare Folge fast immer ein Gefühl von Schock, Leere, Ungläubigkeit, Angst und Verletzlichkeit. Der Kopf begreift es, doch das Herz noch nicht – oder umgekehrt. Darauf können Verleugnung, Bestürzung, Schmerz, Trauer, Wut, Kummer, Verwirrung, Depression, ein Gefühl des Verlassen seins oder Hilflosigkeit folgen. Das Trauma, das in einem solchen Moment verursacht wird, ist tiefgreifend und kann lange anhalten.
Um den Verlust eines geliebten Menschen zu verarbeiten, ist es entscheidend, dass wir uns erlauben, vollständig zu trauern, ohne Emotionen zu unterdrücken, und zwar auf die Art und Weise, die sich für uns am natürlichsten anfühlt, im Einklang mit unserer Persönlichkeit, Kultur und unseren Überzeugungen. Wir alle gehen auf unterschiedliche Weise mit Traumata um, denn Trauern, Bewältigen und Überwinden ist eine zutiefst persönliche Reise. Es gibt keine allgemeingültige Herangehensweise, keinen richtigen oder falschen Weg. Deshalb finde ich es nicht immer hilfreich, wenn Leute Vergleiche ziehen. Jeder Verlust bringt seine einzigartigen Herausforderungen und emotionalen Reaktionen mit sich; es gibt jedoch Gemeinsamkeiten in der Art und Weise, wie wir diese Ereignisse verarbeiten und letztendlich Wege finden, sie zu akzeptieren, zu vergeben, loszulassen und weiterzumachen.
Die Drehscheibe des Gesundheitszustands
Abgesehen vom Verlust eines geliebten Menschen verändert auch der Verlust der Gesundheit, sei es durch chronische Krankheit oder plötzliche Behinderung, das Leben des Einzelnen und seiner Familie dramatisch. Er kann die Unabhängigkeit einschränken, die tägliche Routine verändern und die geistige und emotionale Belastbarkeit auf die Probe stellen. Sich anzupassen an gesundheitliche Veränderungen beinhaltet, dass man die neue Realität akzeptiert und Wege findet, innerhalb dieser Einschränkungen zu leben und dabei so viel Lebensqualität wie möglich zu erhalten. Wir denken vielleicht, dass wir uns leichter an eine langsame Verschlechterung unseres Gesundheitszustands mit einer fundierten medizinischen Prognose anpassen können als an eine lebensverändernde Situation, die akut eintritt. Aber wie wir damit umgehen, hängt sehr stark von unserem Menschenbild ab, wie wir uns selbst als Teil der Welt oder des Universums sehen: Denken wir in Möglichkeiten oder in Niederlagen? Sind wir Kämpfer oder Opfer? Ist unsere Denkweise darauf ausgelegt, positive Ergebnisse zuzulassen oder nicht? Vertrauen wir unserem Umfeld ausreichend, um Dinge transparent anzugehen? Sind wir in der Lage, Hilfe anzunehmen, wenn Hilfe angeboten wird?
Eine solche Situation ist immer komplex. Sie kann bedeuten, dass wir Unterstützung bei medizinischem Fachpersonal suchen, an Selbsthilfegruppen teilnehmen und uns weiterbilden, um das Leben effektiver meistern zu können. Neue Übungen zu meistern, die dem Gesundheitszustand gerecht werden, kann ein Gefühl von Triumph und Freude vermitteln. Auch ist es für unser emotionales Wohlbefinden wichtig, soziale Kontakte und Interaktionen aufrechtzuerhalten. Und ja, dies erfordert meist, dass wir unsere natürlichen Grenzen überschreiten und über unseren Schatten springen.
Existenzielle Herausforderungen
Der Verlust des Lebenssinns kann ebenso lähmend sein wie jeder physische Verlust. Er kann durch wichtige Veränderungen im Leben entstehen, die uns aufgezwungen werden und bei denen wir das Gefühl haben, keine Macht oder kein Mitspracherecht zu haben – ein Verlust des Arbeitsplatzes oder die Pensionierung; die Trennung vom Lebenspartner; Kinder, die ausziehen, um ihr eigenes Leben zu beginnen; oder die Notwendigkeit, das eigene Zuhause für immer zu verlassen. Was diese Momente besonders schwierig macht, ist, dass sie oft begleitet werden von Gefühlen von Angst vor dem Unbekannten, Wertlosigkeit, Ungerechtigkeit, Scham oder mangelnder Motivation. Der Verlust unseres Arbeitsplatzes kann den Kern unserer Identität treffen, insbesondere in einer Gesellschaft, in der beruflicher Erfolg eng mit dem Selbstwertgefühl verbunden ist. Über die finanzielle Belastung hinaus kann der Verlust des Arbeitsplatzes zu einem Gefühl des Versagens und einem Auseinanderbrechen der dort geknüpften sozialen Verbindungen führen.
Obschon auch in so einem Fall eine Form des Trauerns für den Heilungsprozess notwendig ist und wir uns erlauben sollten, dieses bedeutende Lebensereignis ganzheitlich anzuerkennen, ist es nicht ratsam, zu lange darin zu verweilen, bis nur noch Wut und Selbstmitleid übrig sind. Das Wiederfinden eines Lebenssinns ist in vielerlei Hinsicht eine Frage der freien Wahl: Wenn wir es schaffen, den Verlust des Arbeitsplatzes oder den Wechsel des Umfelds als Chance und nicht als Rückschlag zu sehen, können sich Türen zu neuen Möglichkeiten öffnen. Neben der Unterstützung durch Familie, Freunde oder Fachkräfte erfordert dies ausreichend Zeit für Selbstreflexion; die Bereitschaft, eine neue Struktur in unser Leben einzuführen; die Offenheit dafür, unser soziales Netzwerk aktiv zu pflegen und zu erweitern; und den Willen, neue Interessen zu entwickeln.
Eine solche Phase des Überwindens ist eine Zeit, in der wir neu bewerten – wir identifizieren Stärken, Schwächen und längst vergessene Träume, die uns vielleicht zu einem befriedigenderen Karriereweg oder zur Akzeptanz einer neuen Lebensweise führen könnten. Während dieser Seelenerforschung kann es hilfreich sein, darüber nachzudenken, was uns einst Freude und Zufriedenheit bescherte, und nach Wegen zu suchen, diese Elemente in die aktuelle Lebensphase zu integrieren.
Eine neue Motivation
In allen Verlustszenarien beinhaltet das Finden einer neuen Motivation, dass wir uns kleine, überschaubare Ziele setzen, die nach und nach zu einem größeren Erfolgserlebnis führen. Einen neuen Sinn zu entdecken bedeutet, uns selbst auf unterschiedliche Weise herauszufordern: Freiwilligenarbeit, das Erlernen neuer Fähigkeiten oder der Anfang eines kreativen Projekts können ein neues Gefühl von Vollbringung, Ermächtigung oder Orientierung vermitteln. So entsteht jede Form von Leidenschaft, die ultimative Lebensretterin der Menschheit! Selbst einfache tägliche Aktivitäten oder regelmäßige Rituale wie Sport und Meditation können das Gefühl von Erfolg und Erfüllung fördern. Kleine Siege zu feiern, egal wie unbedeutend sie erscheinen, wird zur Dynamik und zur positiven Einstellung beitragen. Auch hier gibt es kein Richtig oder Falsch und keinen allgemeingültigen Ratschlag, sondern nur Dinge, die wir im Einklang mit unserer Persönlichkeit und unseren Fähigkeiten tun.
In diesem Prozess ist es entscheidend, Selbstmitgefühl zuzulassen. Zu verstehen, dass Rückschläge und Verluste Teil des menschlichen Wesens sind, hilft dabei, Gefühle der Unzulänglichkeit oder des Versagens zu mildern. Wer die Idee annimmt, dass das Leben ein kontinuierlicher Zyklus von Veränderung und Anpassung ist, der Geduld und Ausdauer erfordert, ermöglicht sich selbst eine offenere Denkweise. So kann man ein Trauma mit der Zeit in eine Quelle von Stärke und neuer Sinnhaftigkeit verwandeln.