Die Nachrichten zweier Suizide auf C-Level erschütterten im letzten Jahr die Schweiz: Carsten Schloter, CEO der Swisscom und kurz danach Pierre Wauthier, CFO der Zurich Insurance Group, nahmen sich das Leben. Besonders bei letzterem weist vieles darauf hin, dass berufliche Belastung und Druck aus dem Aufsichtsgremium eine maßgebliche Rolle spielten. Seit Januar 2014 wurden mindestens vier weitere mutmaßliche Suizide von Top-Executives durch die internationalen Medien bekannt, darunter William Broeksmit (Deutsche Bank) in London und Karl Slym (Tata Motors) in Bangkok. Diese Fälle sind leider nur die Spitze des Eisbergs und zeigen eine traurige Realität: Für die meisten CEOs ist „einsam an der Spitze“ kein Klischee sondern ernüchternde Realität.

Eine Realität, die auch eine im Juli 2013 veröffentlichte Studie der Stanford Graduate School of Business zum Thema Executive Coaching bestätigt. Die Umfrage bringt es ans Licht: Der Bedarf an persönlicher Begleitung auf Executive-Level ist groß. Und die genannten Fälle bestätigen: Die Folgen des Nichthandelns können fatal sein.

Das Manko in Europa
Während sich persönliches Coaching und Beratung für Executives in den USA in den letzten 25 Jahren zu einer geschätzten und wertvollen Unterstützung in den Top-Führungsebenen entwickelt hat, hinkt Europa in gewohnter Weise hinterher. Auf europäischem Boden bewegt man sich gerade erst allmählich von einer eher problem- und defizitorientierten Wahrnehmung einer solchen Begleitung von Executives, in der offenbar noch etwas fehlt oder entwickelt werden muss, hin zu einer ressourcen- und potenzialorientierten Sichtweise, bei der gerade und zunehmend Top-Performer einen Berater an ihrer Seite haben. Dieser fungiert dann meist in der Rolle eines Sparringpartners und engen Vertrauten, der einen neutralen Raum für respektvolle und wertschätzende Gespräche bietet, in dem wichtige Erkenntnisse gewonnen und Zugang zu den eigenen Ressourcen geschaffen werden können.

Einen persönlichen Sparringspartner in Form eines Beraters oder Coachs zu haben, kann enorm hilfreich sein. Er kann Top-Performer dabei unterstützen, sich selbst besser wahrzunehmen, blinde Flecken zu reduzieren und dadurch zu mehr Authentizität zu gelangen, ihre persönlichen Stärken besser zu nutzen und in für sie wichtigen Bereichen zu wachsen.

Vom Hochleistungssport abgeschaut
Viel besser trifft hier deshalb der Vergleich mit dem Coach von Spitzenathleten zu, woher die Funktion des Beraters und Begleiters ursprünglich einmal kam. Allerdings kam dann beim Transfer in die Unternehmenswelt offenbar irgendjemand auf die Idee, es müsse hierbei um das „Entledigen“ von Schwächen und Defiziten gehen, statt um das Fördern und Weiterentwickeln von Stärken und Potenzialen.

Geht man zeitlich etwas weiter zurück, findet man noch vor der Existenz des Begriffs ‚Coach‘ das Besprechen persönlicher und beruflicher Themen mit Freunden, Familienmitgliedern, engen Vertrauten aus dem geschäftlichen Umfeld oder sogar mit einem Geistlichen. Diese Personen können natürlich immer noch eine ausgezeichnete Wahl sein, sofern man die Möglichkeit und den Zugang dazu hat. Auf der Zeitachse noch weiter zurück, vertrauten sich Könige oft ihren Hofnarren an – den einzigen Menschen mit der offiziellen Erlaubnis, ihre Majestät mit der Wahrheit zu konfrontieren. Menschen waren also immer auf der Suche nach einem Gesprächspartner, der nicht nur zuhörte, sondern auch offen und ehrlich Feedback gab.

Isolation nimmt zu
Unsere Gesellschaft hat sich seither gewandelt. Mit zunehmenden technischen Möglichkeiten der Vernetzung und Kommunikation, mit der Zunahme sogenannter ‚Freunde‘ in der virtuellen Welt, geht eine wachsende Isolation und Vereinsamung einher. Der echte Dialog bleibt dabei auf der Strecke. Mit dem hierarchischen Aufstieg in Führungspositionen kann diese gefühlte Isolation zusätzlich zunehmen – wozu das führen kann, zeigt die Einleitung dieses Artikels. Dabei ist es besonders für Führungskräfte in Top-Positionen absolut elementar, sich regelmäßig austauschen, Ängste aussprechen und mögliche Lösungswege diskutieren zu können.

Einfach nur reden
Es gibt sogar durchaus Klienten auf Top-Management Ebene, die mit einem Sparringspartner an ihrer Seite gar keine bestimmte Zielsetzung verfolgen, sondern einfach nur den regelmäßigen Raum für strukturierte, ehrliche, offene und vertrauensvolle Gespräche enorm schätzen. So bekam ich kürzlich von einem CEO eine Anfrage für Coaching. Auf meine Frage, worum es ihm dabei in erster Linie gehe, sagte er „einfach nur reden“. Für viele Executives ist ein persönliches Gespräch ohne Agenda und ohne handfestes Ergebnis bereits eine Herausforderung.

Executive Consulting als umfassende Begleitung
Die Anforderungen an einen Executive Consultant haben sich im Laufe der Zeit geändert und verlangen heute mehr, als ‚nur‘ entweder die klassische Berater-, Coaching- oder Trainingsrolle für sich alleine genommen. Jede einzelne dieser Rollen und die damit jeweils verbundenen Kompetenzen wird heute und in Zukunft in die Begleitung von Executives einfließen müssen, um für diese einen echten Mehrwert darzustellen. Die Erklärung dafür ist einfach: Die Situation der meisten Klienten erfordert einen Mix aus den genannten Kompetenzbereichen – mit unterschiedlicher Gewichtung. Wer nur auf einen Bereich spezialisiert ist, kann seinem Klienten deshalb kaum die umfassende Begleitung bieten, die er unter Umständen braucht. Ein guter Consultant beherrscht deshalb alle drei Rollen kompetent, oder holt sich zur Unterstützung einen weiteren Spezialisten hinzu, mit dem er gemeinsam seinen Klienten betreut und begleitet.  

Schwerpunkt Coaching
Besonders von Führungskräften wird erwartet, scheinbar unlösbare Situationen lösbar zu machen. Was lange Zeit und mit viel Kraftaufwand funktionieren mag, kann durch die Zuspitzung mehrerer Faktoren im Laufe der Zeit jedoch in das radikale Gegenteil umschwenken: die Gedanken sind in einer Problemtrance blockiert, Lösungswege scheinen unerreichbar, das Gefühl des Versagens wird immer präsenter und das Gefühl der Selbstwirksamkeit nimmt drastisch ab. Jetzt gilt es, das alte Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wieder herzustellen. Ein Prozess, der mithilfe von Coaching wirkungsvoll unterstützt wird.

Im klassischen Coaching geht es oft darum, das „Geröll“ abzutragen, das über dem vorhandenen Potenzial oder möglichen Lösungen liegt und diese verdeckt, zum Beispiel in Form von hinderlichen Überzeugungen oder anderen Konditionierungen. In diesem Sinne wird das Coaching tatsächlich zum gemeinsamen Ent-decken. Oder wie es Sir John Whitmore einmal gesagt haben soll: der Samen einer Eiche enthält bereits alle Informationen, die notwendig sind, um zu einer mächtigen Eiche zu werden. So gesehen wird der Coach praktisch zum Gärtner, der vor allem für einen idealen Rahmen sorgt, in welchem der Samen zu dem werden kann, wofür er bestimmt ist. Eine Metapher, die übrigens auch wunderbar ein Potenzial- und Ressourcenorientiertes Führungsverständnis beschreibt.

Prozess mit erstaunlichen Entwicklungen
In der Coaching-Rolle gibt der Executive Consultant dem Klienten stets sorgfältig hilfreiche Impulse, so dass man eigentlich im übertragenen Sinne von einer minimal-invasiven Vorgehensweise sprechen kann, bei der die Selbsterschaffungs- und Selbsterhaltungsfähigkeiten (Autopoiese) des Klienten im Zentrum stehen. In jedem Fall geht es dabei um eine ‚Co-Creation‘ – um eine Zusammenarbeit, aus der immer wieder Erstaunliches entstehen kann, wenn beide offen sind und sich auf den Prozess einlassen. Voraussetzung für gelingendes Coaching ist dabei der Wille des Klienten, etwas zu verändern.

Im Executive Consulting befinden sich eigentlich zwei Experten im Raum: der Klient als Experte für seine Situation mit allen Facetten, Ebenen und Teilaspekten. Der Consultant wiederum als Experte für den Prozess und die Anwendung effektiver Methoden. Damit entkräftet sich auch gleich der immer wieder gehörte Anspruch, dass ein Executive Consultant oder Coach mindestens genauso viel Erfahrung in einer Top-Management Funktion haben und die Branche genauso gut kennen muss, wie sein Klient. Im Gegenteil: Nicht-Wissen kann in einem solchen Kontext sogar ein großer Vorteil sein, weil es einen offenen Blick und eine unvoreingenommene Sichtweise ermöglicht.

Schlüsselkompetenz eines guten Executive Consultants: zuhören!
Neben einer entsprechenden Ausbildung zum Coach und idealerweise verschiedenen Methoden im Instrumentenkoffer, muss ein guter Executive Consultant natürlich in erster Linie ein ausgezeichneter, professioneller Zuhörer sein. Dabei ist die Qualität des Zuhörens entscheidend: wertschätzend und von einer hundertprozentigen Präsenz und Gegenwärtigkeit geprägt. Wenig hilfreich oder sogar störend ist dabei der vielfach natürliche Impuls, in Gedanken schon während des Zuhörens nach der nächsten Frage zu suchen oder im Voraus eine Bemerkung auf das Gesagte vorzubereiten. Allein diese Art von wacher Präsenz ermöglicht oft eine ganz andere, sehr menschliche Gesprächsqualität. Diese Qualität ist im Businesskontext selten genug anzutreffen, weil dieser erfahrungsgemäß unter chronischer Teilaufmerksamkeit leidet.

Transfer in die Führungspraxis
Coaching-Methoden nehmen bereits seit einigen Jahren zunehmend Einzug in die professionelle, zeitgemäße Führungsarbeit. Wir leben in einer Zeit, in der das Thema Leadership als wesentliches Instrument zur Beeinflussung des Unternehmenserfolges erkannt ist und in der eine reine Instrumentalisierung und Ausschöpfung von Mitarbeitern im Sinne von ‚Human Ressourcen‘ nicht mehr zielführend ist, wenn man gute Mitarbeiter finden und binden will. Dazu kommt, dass die Geschwindigkeit und Komplexität von Veränderung für die allermeisten Unternehmen derart zugenommen hat, dass Entscheidungen und Kompetenzen an Mitarbeiter übertragen werden müssen (Empowerment), damit diese sich eigenverantwortlich und selbstorganisiert um die Bedürfnisse der Kunden kümmern können. Stichwort: Geschwindigkeit durch Vertrauen.

Ein interessanter Zusatznutzen von Executive Consulting und insbesondere Coaching ist immer wieder, dass die entsprechenden Führungskräfte nach einiger Zeit damit beginnen, ihren Mitarbeitern selbst vermehrt als Coach und Sparringpartner zur Verfügung zu stehen. Letztendlich, weil sie Nutzen und Effektivität der Methoden am eigenen Leib erfahren haben. Deshalb gehört das Ausbilden von Führungskräften in der Anwendung von Coaching-Methoden zu einer zunehmend wichtigen Entwicklungsmaßnahme in Unternehmen.
 
Fazit
Eine Begleitung in Form von Executive Consulting ist heute elementar für Führungskräfte, um den Anforderungen an die Position auch morgen noch gewachsen zu sein. Executive Consulting hat mittlerweile seine Legitimation gefunden: Stanford macht eine Studie darüber, die meisten CEOs wollen es, das Stigma des Managers, der es offenbar selber nicht auf die Reihe kriegt ist am verschwinden und macht einem Bild Platz, das dem eines Spitzenathleten entspricht, der sich die persönliche Unterstützung nicht nur leisten kann, sondern diese auch als Privileg und als Zeichen von Authentizität und Reflexionsfähigkeit nach außen zeigt. Ein weiteres Ergebnis der Stanford Studie ist denn auch, dass nahezu zwei Drittel der befragten CEOs und fast die Hälfte der befragten Senior Executives keine externe Unterstützung bekommen, während gleichzeitig nahezu alle Befragten sehr offen dafür wären, oder sich eine solche sogar wünschen würden. Zudem sind auch die Vorzüge von Coaching als Führungsmethode mittlerweile weitgehend bekannt, so dass Mitarbeiter zu dem werden können, was sie sind und ihr Potenzial im Sinne der Unternehmung zur vollen Blüte gelangen kann.